Wir liegen vor dir mit unserem Gebet ...
                                                      Ansprache
                                               über Daniel 9,18.19
                                    beim Ökumenischen Friedensgebet
                         angesichts der Gefahr eines Krieges gegen den Irak

                                             am 25. Januar 2003
                                        in der Kilianskirche Heilbronn
                                                       durch
                                          Prälat Paul Dieterich
 
 
 

Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen, nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit! Ach, Herr, höre! Ach, Herr, sei gnädig! Ach Herr, merke auf!
                                                                  Daniel 9,18.19
Wir kamen hierher in der Stunde akuter Kriegsgefahr zum Gebet um den Frieden! "Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott!", haben wir im Konfirmandenunterricht gelernt. Gebet ist keine politische Kundgebung. Gebet ist nicht die Gelegenheit, anderen eine Lehre zu erteilen oder anderen ein scharfes Urteil zu verpassen. Gebet ist Gebet. Der Adressat ist allein Gott.
Wir stehen vor ihm, der im Jesaja-Buch vorgestellt wird als "der Hohe und Erhabene, der ewig wohnt, dessen Name heilig ist", der von sich durch den Mund seines Propheten sagt: "Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind, damit ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen" (Jesaja 57,15). Wir stehen vor dem Gott, der sich uns in Jesus Christus verkörpert, dessen Willen wir aus dem Mund des Bergpredigers hören: "Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Gottes Kinder heißen".(Matthäus 5,5.9).
Wir beten zu Gott im Namen des Christus, der "der Herr aller Herren und der König aller Könige" ist (Offenbarung 17,14), dessen Weisung die Herren dieser Welt zu hören haben. Besonders dann, wenn sie selbst sich als Christen bekennen.
Wir stehen nicht allein vor ihm mit unserem Gebet um Frieden. Christen in aller Welt, Bischöfe aller Konfessionen, Synoden, Kardinäle in Rom, in Deutschland, in Amerika, der Papst mit seinen beschwörenden Friedensappellen, die Frauen und Männer des Ökumenischen Weltrates der Kirchen, ungezählte Christen beten mit uns darum, dass der drohende Krieg gegen das Volk des Irak vermieden wird.
Es beten zugleich ungezählte Menschen, die auf den Wegen anderer Religionen Gott suchen. Für die Gott und der Friede eng zusammen gehören. Wir fühlen uns auch ihnen und ihrer Friedenssehnsucht in unserem Gebet verbunden. Dass dieser Krieg vermieden wird, ersehnen mit uns ungezählte ‚Menschen guten Willens', die sich selbst zu keiner Religion bekennen.
Wir stehen nicht vor Gott. Wir liegen vor ihm. Wobei jeder von uns weiß, dass wir alle mitschuldig sind, wenn ein Krieg ausbricht. Dass keiner seine Hände in Unschuld waschen kann. Das Unrechtspotential, der Geist der Selbstgerechtigkeit, der mit Feindbildern zur Kriegsbereitschaft aufheizt, die fatalistische Gesinnung, als könne man nur alles geschehen lassen, all das ist uns selbst nicht fremd. Die Verzweiflung, die Probleme mit Gewalt lösen will, die Rechtfertigung unserer Machtansprüche durch religiöse Argumente, der Hang, die Menschenwelt in Gute und in Böse aufzuteilen und sich auf der Seite der Söhne des Lichts zu positionieren, der Missbrauch, die Entheiligung des Namens Gottes, all das liegt auch in uns. Die gegenwärtige Kriegsgefahr soll uns dazu bringen, vor der eigenen Tür zu kehren, in uns zu gehen, umzukehren, Gott zu bitten, dass er "unsere Füße richte auf den Weg des Friedens".
Wir bringen vor den großen Gott unsere schwere Sorge.
Die Sorge um zahllose Menschen, die in jedem Krieg die ersten Opfer sind: Kinder, Mütter, alte Menschen. Die Armen, die sich nicht wehren können, deren Leben schwer genug ist und die fern von allen politischen Ambitionen sind. Die Kranken, die man dann gar nicht mehr versorgen kann. Die Menschen, die vor dem Krieg ins Elend fliehen.
Die Sorge um die Soldaten, die im Krieg Menschen, die ihnen nichts getan haben, den Tod aus der Luft bringen müssen, weil ihnen das befohlen wurde. Sie sind Ebenbilder Gottes wie Du und ich, sie werden dazu degradiert und missbraucht, seelenlos funktionierende Werkzeuge des Todes zu sein. Wir sorgen uns um die Charakterentwicklung junger Menschen, die töten müssen.
Auf uns lastet die Sorge darum, was aus einem Angriffskrieg werden soll, dessen Rechtfertigung fadenscheinig, dessen Ziele unklar, dessen Auswirkungen auf das politische Leben unübersehbar sind, dessen Folgen die Weiterentwicklung einer internationalen Rechtsordnung eher schwächen als stärken. Es ist sehr viel leichter einen Waldbrand zu entfachen als ihn zu löschen.
Uns plagt die Sorge, in welchen Ruf die Nationen geraten, die diesen Angriffskrieg führen wollen, obgleich sie selbst durch den Irak nicht bedroht sind. Die Nationen Amerika und England werden leicht mit dem Christentum in eins gesetzt. Sie haben etwas zu vertreten an christlichen Werten: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Freiheit, Frieden. Wir Deutschen sind mit ihnen freundschaftlich verbunden. Es kann uns nicht egal sein, in welchen Verruf sie sich durch einen Angriffskrieg selbst bringen.
Wir bringen vor Gott das schwere Problem, das für uns die Herrschaft des Saddam Hussein verkörpert. Dieses Friedensgebet ist keine Sympathieveranstaltung für sein Regime. Wir vergessen nicht, welche Verbrechen sein Regime an den Kurden begangen hat. Aber es wird nicht möglich sein, ein Volk gegen dessen Willen von seinem Diktator zu befreien.
Wir bringen vor Gott unsere Sorge, die Religionen könnten in den Dienst der Gewalt und des Krieges gestellt werden. Eine neue ‚Gott-mit-uns-Mentalität', die uns Deutschen aus den Weltkriegen sehr bekannt ist, könnte um sich greifen und das Kostbarste, den Glauben der Menschen an Gott, verderben. Nicht nur bei Muslimen, sondern auch bei Christen. "Gott lässt nicht ungestraft den, der seinen Namen missbraucht", heißt es im Nachsatz des zweiten Gebotes (2.Mose 20,7). Wenn das Kostbarste, der Glaube an Gott, durch religiöse Kriegsideologien verdorben wird, aus welchen Quellen sollen Menschen dann Kraft und Mut, Orientierung für ihr Leben schöpfen?
Wir sorgen uns um die Sicherheit Israels. Wenn ein Krieg ausbricht, wird dieses Volk die erste Zielscheibe der Aggression betroffener Völker sein. Seine Probleme sind schwer genug. Israel braucht Versöhnung mit seinen Nachbarn. Damit es aus der Eskalation der Gewalt herauskommt. Wie soll das geschehen, wenn in unmittelbarer Nähe der Krieg tobt?
Uns plagt die Sorge, was geschehen wird, wenn in die Glut islamistischen Hasses der Sturm des Krieges hineinbläst. Diese Sorge plagt uns Christen so sehr wie Millionen von frommen Muslimen, die nichts anderes ersehnen als einen Frieden in Würde und Gerechtigkeit.
Wir bringen vor Gott die Furcht, die kriegsvorbereitenden Nationen könnten selbst Gefangene der Logik "Wer A sagt, muss auch B sagen" sein. Sie könnten sich selbst nicht mehr frei fühlen zum Umkehr und könnten an sich das erfahren, was die Bibel ‚Verblendung' oder ‚Verstockung' nennt.
Wir wissen: All dieses Verhängnisvolle kann nur Gott selbst lösen. Der Gott, der, wie es im Psalm 46 heißt, "den Kriegen steuert in aller Welt, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und (Kriegs)wagen mit Feuer verbrennt". "Du, Vater, du rate, lenke du und wende".
Wir rufen ihn an, weil Jesus uns Mut macht, das in gläubiger Zuversicht zu tun: "Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei" (Johannes16,24).
Wir bitten und "vertrauen auf seine große Barmherzigkeit", die größer und höher und weiser ist als die Zwangsgedanken von Menschen, die sich selbst ihrer Freiheit berauben. Ach Herr, höre, ach Herr, sei gnädig; ach Herr, merke auf!