Pfarrer Reinhardt Seibert, Sindelfingen

Rede beim Ostermarsch in Heilbronn am 26.3.2005, 13.30 Uhr Kiliansplatz

Liebe Friedensfreundinnen und –freunde ,                                                                   26.3.2005

Am 11. Januar 1985 entzündete sich bei Montagearbeiten auf der US-Raketebasis Waldheide bei Heilbronn der erste Stufenmotor einer Pershing-II-Rakete. Drei Soldaten starben, fünf  wurden schwer und sieben leicht verletzt. Für die Bevölkerung habe keine Gefahr bestanden, wurde beteuert.
Aber die Bevölkerung von Heilbronn hat sich danach nicht mehr ruhig stellen lassen. Sie ist aufgewacht, und zwar in allen Altersklassen und sozialen Schichten. Als die US-Streitkräfte mehrere Wochen später ihre Raketentransporte wieder aufnehmen wollten, einfach so weiter machen wollten wie bisher, da protestierten 10 000 Heilbronner dagegen. Und einige Wochen später umzingelten beim Ostermarsch1985 30 000 Menschen das Raketengelände.
Nach dem INF-Vertrag (Intermediate- Range- Nuclear-Forces-Vertrag) zwischen Michail Gorbatschow und Ronald Reagan, wurden die Pershing-Raketen ab September 1988 von der Waldheide abgezogen, und heute ist das Gelände tatsächlich wieder Wald und Heide.
Die meisten von euch, liebe Friedensfreundinnen und –freunde, haben dieses Geschichte selbst miterlebt und kennen noch alle Details. Aber an einem solchen Jahrestag ist es gut, sich das wieder bewusst zu machen, sich zu erinnern, wie es war und was sich seitdem zum Guten verändert hat.
Wir wollen diese Geschichte doch nicht dem Vergessen und auch nicht denen überlassen, die meinen, mit Drohung und militärischer Gewalt die Welt verbessern zu können. Das Gegenteil ist richtig, und so gilt es zu handeln. Denn da, wo versucht wurde den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, wie im Irak, da hat sich die Gewalt mit Teufel und Beelzebub nur noch verdoppelt.
Frieden und Gerechtigkeit haben dort eine Chance, wo Menschen sich weder für so genannte militärische Lösungen einspannen noch sich zu Gegengewalt provozieren lassen.
Das – liebe Friedensfreundinnen und –freunde – ist Ende der achtziger Jahre gelungen, als in West und Ost deutlich wurde, dass die Menschen dieses Bedrohungssystem satt hatten und nicht mehr bereit waren, es weiter zu unterstützen.
 

Die Blockadeaktionen am EUCOM in Stuttgart, in Mutlangen, in Heilbronn und an anderen Orten im Westen entsprachen den und beförderten die „Schwerter-zu- Pflugscharen-Aktionen“ und die Friedensgebete im Osten und umgekehrt. Seit dieser Zeit haben wir gelernt uns zu vernetzen – und das nicht nur europaweit in Ost und West, sondern auch weltweit.
Gewiss, der Erfolg der achtziger Jahre war ein Höhepunkt in der Geschichte der gewaltfreien Aktionen und des zivilen Ungehorsams, wie wir ihn seitdem nicht mehr erlebt haben.
Nichtsdestotrotz ist seither das Netz der NGOs immer dichter geworden. Nicht-Regierungsorganisationen leisten in vielen lokalen Konflikten Widerstand und können sich bei Bedarf europa- und weltweit an der Basis zusammenschließen. Das haben wir zuletzt beim Widerstand gegen den Irak-Krieg erlebt.
Liebe Friedensfreundinnen und –freunde, auch wenn diese Vernetzung nicht immer zu einem sichtbaren Erfolg geführt hat, so ist sie doch ein Fortschritt - zu dem natürlich auch der technische Fortschritt des Internets beigetragen hat. Und dieser Fortschritt ist eben auch wichtig für den weltweiten Widerstand gegen die atomare Rüstung.
Machen wir uns nichts vor: Diese Rüstung ist noch nicht überwunden, sondern gewinnt durch
die so genannten Mini-Nukes, die als Gefechtsfeldwaffen handhabbaren verkleinerten Atomwaffen, neue Dimensionen.
Und doch: Der Widerstand ist da und hat sich weiter entwickelt. Ich erinnere mich daran, dass wir von „Ohne Rüstung leben“ im April 1982 im Rathaus in Stuttgart die offizielle Foto-Ausstellung der Städte Hiroshima und Nagasaki über die atomare Zerstörung gezeigt haben. Diese Ausstellung hatte eine große Wirkung und zog Tausende von Menschen an. Vorher jedoch waren große Hürden bei der Stadt Stuttgart zu überwinden gewesen, und noch im Nachhinein gab es eine Diskussion im Gemeinderat, ob denn eine solche Splittergruppe wie „Ohne Rüstung leben“ überhaupt mit dieser Ausstellung ins Rathaus gedurft hätte.
Zur selben Zeit entwickelte der Bürgermeister von Hiroshima die Idee der Bewegung „Mayors for Peace“ also „Bürgermeister für den Frieden“, um eine weltweite Vernetzung von Städten gegen die atomare Rüstung zu erreichen. Und diese Idee verbreitete sich, gewann immer mehr Anhänger und 1992 wurden die „Mayors for  Peace“ ständiges Mitglied des Wirtschafts und Sozialrats der Vereinten Nationen mit beratendem Status. Heute sind 610 Bürgermeister und Städte aus 108 Ländern Mitglied der „Mayors for Peace“, darunter nicht nur Orte wie Mutlangen und Schwäbisch Gmünd, sondern auch Stuttgart, München, Dortmund und Hannover. Heilbronn gehört meines Wissens  allerdings noch nicht dazu. – Aber wer hätte sich das vor 20 oder 25 Jahren träumen lassen?

Jetzt hat die deutsche Sektion der Bürgermeister eine gemeinsame Erklärung herausgegeben zur „Unterstützung für die Aufnahme von Verhandlungen zur Abschaffung von Atomwaffen“. Diese Erklärung gipfelt in der Forderung an die deutsche Regierung

· sich auf der Überprüfungskonferenz de NVV (des Nichtverbreitungs-Vertrages) im Mai 2005 für die sofortige Aufnahme von Verhandlungen zum Verbot und zur Abschaffung von nuklearen Waffen und Material aktiv einzusetzen,
· Verhandlungen über den Abzug der US-Atomwaffen von deutschem Boden zu beginnen und
· die nukleare Teilhabe Deutschlands aufzugeben.

Es tut sich als etwas, liebe Friedenfreundinnen und –freunde – und wir können etwas tun:
Wir können diese Forderungen an die Überprüfungskonferenz im Mai 2005 unterstützen.
Und wir können weiter gehend für die Kampagne „2020 Vision“ eintreten, nämlich für die Forderung nach Abrüstung aller Atomwaffen bis zum Jahr 2020.
Der Mai 2005 wird also der nächste Meilenstein sein.
Und ein weiterer Meilenstein ist der 6. August, der 60. Jahrestag der Bombe auf Hiroshima. Wir von „Ohne Rüstung leben“ rufen anlässlich dieses Gedenktages zusammen mit dem Trägerkreis „Atomwaffen abschaffen“ zu einer „Nacht der 100 000 Kerzen“ auf.
Damit wollen wir eine Verbindung zu den großen Gedenkfeierlichkeiten herstellen, die am 6. August 2005 um 8 Uhr 15 Ortszeit im Hiroshima-Memorial-Park begangen werden.
Wir laden euch ein, am Vorabend des Hiroshima-Tages, am 5. August, zwischen 22 Uhr und 0.15 Uhr  auf städtischen Plätzen oder vor Militäreinrichtungen, in Kirchen oder Rathäusern, auf Flüssen oder Seen hunderte oder tausende Kerzen zum Gedenken an die Opfer der Atombombe von Hiroshima und Nagasaki anzuzünden und im Rahmen dieser Aktionen unsere Vision „Atomwaffenfrei bis 2020“ in die Öffentlichkeit zur tragen.
Im Gegensatz zu Drohung und Gewalt haben wir in der Friedensbewegung, liebe Friedensfreundinnen und –freunde, immer wieder auf die Macht der Zeichen und Symbole vertraut und lassen uns das nicht nehmen.
Gerade auch durch Kerzen kann denen, die ihre Macht durch Gewalt absichern wollen, eine Gegenmacht von untern entgegengesetzt werden. Das haben uns die Aktionen der achtziger Jahre gezeigt. Dazu heißt es immer wieder aufzustehen und nicht zu resignieren.
Und Ostern selbst ist dabei vielleicht das stärkste Symbol. Indem wir uns immer wieder an den Sieg des Lebens über den Tod erinnern lassen, werden wir auch nicht aufgeben, in unserem gewaltlosen Aufstehen zur Überwindung von Gewalt und Krieg in dieser Welt.
 

Es gilt das gesprochene Wort