Dr. Rudolf  L u z
Erster Bevollmächtigter der
IG Metall Heilbronn-Neckarsulm

Nie wieder Krieg,
nie wieder Faschismus!

Rede am 1. September 2013 in Heilbronn

Es gilt das gesprochene Wort!
 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
sehr geehrte Anwesende!

Seit 1957 erinnert der DGB an die Schrecken des 1. und 2. Weltkrieges. Am 1. September machen wir deutlich: Die deutschen Gewerkschaften stehen für Frieden, Demokratie und Freiheit. Für uns gilt: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus.
Aus unserer Geschichte bürdet eine besondere Verantwortung, die wir zu tragen haben. Bei aller Normalisierung der Beziehungen, Geschichte lässt sich nicht vergessen.

Der 1. September ist für uns ein mahnender Gedenktag. Wir erinnern uns an den Beginn des Zweiten Weltkrieges. Der von der SS inszenierte Überfall auf den Sender Gleiwitz diente als Vorwand für den Überfall auf Polen am 1.September 1939 früh um 4 Uhr 45. Es war der Beginn eines grausamen Eroberungs- und Expansionskrieges. Er mündete in einen totalen Zerstörungskrieg, dem über 55 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Er war als Rassekrieg ein Krieg, der - für eine zivilisierte Welt undenkbar - in die Vernichtung von sechs Millionen Juden mündete.

Für uns ist der 1. September stets ein Tag, sich dieser Geschichte zu erinnern, sie zu vergegenwärtigen. Und wie dieses letzte Wort auch zum Ausdruck bringt, geht es darum, die Geschichte hinsichtlich der Gegenwart und Zukunft zu befragen.

Täglich erreichen uns neue Schreckensmeldungen. Es wurde uns kein mediales Sommerloch beschert. Wichtige innenpolitische Themen – drei Wochen vor der Bundestagswahl – werden gebrochen durch schlimme Nachrichten und fürchterliche Bilder insbesondere aus Syrien. Wir können uns dem nicht entziehen, wir werden damit unweigerlich konfrontiert – und wir müssen uns damit auseinandersetzen.

Die moralische Anklage und Verurteilung des Geschehenden reicht nicht aus. Es muss gehandelt werden. Nur wie?

Auch wir hatten die Hoffnung, dass mit der Arabellion eine neue Entwicklung der Demokratie in vielen arabischen Staaten eingeleitet werde. Dies ist auch heute noch die Hoffnung der Mehrheit der Menschen in diesen Ländern. Sie wollen Freiheit, Sicherheit, Demokratie und gesellschaftliche Verhältnisse, die ihnen die Gewähr geben, dass sie von ihrer Arbeit leben können und dass auch bei ihnen eine Besserung der Lebensverhältnisse eintritt.

Die derzeitige Polarisierung entspricht nicht dem Wollen der 80 Millionen Menschen in Ägypten. Die Alternativen heißen deshalb nicht Anarchie oder Militär.

Deshalb ist die Staatengemeinschaft gefordert, alles zu tun, um die gesellschaftlichen Kräfte zu stärken, die in Ägypten für Demokratie, Freiheit und Toleranz eintreten. Diese Werte sind untrennbar. Die Sicherheit einer Militärdiktatur, die sich auf Panzer stützt, ist genauso entscheiden abzulehnen, wie ein intoleranter Staat, der andere Glaubensgemeinschaften missachtet oder gar verfolgt.

Die sofortige Einstellung von Waffenlieferungen an Ägypten ist deshalb genauso wichtig wie ein entschiedenes Einfordern von Toleranz, weil Extremismus, Fanatismus und religiöse Intoleranz ein Nährboden für Gewalt sind.

Gleiches gilt viel mehr für Syrien. Während für Ägypten der Bürgerkrieg ein drohendes Szenario ist, zerbricht Syrien in ihm. Grauenhafte Bilder zeigen die Selbstzerstörung eines Landes in einem Bürgerkrieg. Mehr als 1,5 Millionen Kinder leiden an den Folgen des Krieges oder werden Opfer in diesem schmutzigen, unbarmherzigen Krieg. Bereits mehr als 100.000 Opfer zählt der schreckliche Bürgerkrieg. Verbrecherisch ist der Anschlag mit Giftgas. Hiermit tritt der schmutzige Krieg auf eine neue Stufe, weil zivile Opfer nicht in Kauf genommen, sondern bewusstes Ziel des Anschlags waren.

Wir alle sind uns einig, die Verantwortlichen müssen hier zur Verantwortung gezogen werden. Hier ist weitere Aufklärung und dann Verurteilung notwendig.

Ein militärischer Gegenschlag gegen das Assad Regime ist die falsche Reaktion, weil hierdurch nur eine weitere Stufe der Eskalation droht in einer Region, die höchst instabil ist.

Die demonstrierte Machtlosigkeit der Staatenwelt überzeugt nicht. Sowohl Russland als auch die USA sind gefordert, alles daran zu setzten, dass dieser abscheuliche Krieg unter den Menschen eines Landes beendet wird. Blockaden im UN-Sicherheitsrat sind unverantwortlich, weil wir gerade jetzt – angesichts der mörderischen Giftgaseinsätze – eine starke UNO brauchen, die Einhalt gebietet. Solange die USA und Russland sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen abstimmen, nimmt der Konflikt kein Ende. Nur durch eine kluge Diplomatie kann der syrische Konflikt beigelegt werden.

Die jetzigen Kriege machen eines deutlich. Wir brauchen ein verlässliches internationales Recht und gestärkte internationale Organisationen, damit das Völkerrecht eingehalten wird.

Wer glaubte, dass nach 1989 mit dem Fall des Eisernen Vorgangs eine neue Ära des Friedens einsetze, sieht sich bitter enttäuscht. Der Blick auf die letzten zwei Jahrzehnte, die Kriege im ehemaligen Jugoslawien, im Irak, Afghanistan, Somalia mahnen. In vielen Ländern des islamischen Gürtels und Afrikas herrschen Bürgerkriege und toben gewaltsame Auseinandersetzungen.

Die IG Metall erklärt deshalb in ihrer Entschließung vom Herbst letzten Jahres Folgendes:

Es gibt nahezu kein Land in dieser riesigen Region, in dem Frieden, Demokratie und halbwegs sozial gerechte Zustände herrschen. Die Fronten in den Bu?rgerkriegen sind nicht immer eindeutig. Geht es um Freiheit und Demokratie oder geht es nur um
die Ablösung eines Despoten durch einen anderen. Die IG Metall unterstu?tzt ausdru?cklich das Begehren der Menschen nach Freiheit, Demokratie und
gerechter Verteilung des Reichtums dieser Länder.

Sie lehnt militärische Interventionen ohne UN Mandat als Mittel der Konfliktlösung ab und fordert den Ru?ckzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Die ungelöste soziale Frage und die Frage der Demokratie sind neben religiösen, ethnischen und kulturellen Konflikten die entscheidenden Triebkräfte und Ursachen der gewaltsamen Auseinandersetzungen.

In allen Konfliktherden herrscht große Ungerechtigkeit bei der Verteilung der natu?rlichen Reichtu?mer dieser Länder (insbesondere Rohstoffe
und Erdöl) und eine große Zahl von jungen Menschen ist ohne jede Zukunftsperspektive. An diesen Ursachen gilt es anzusetzen. Die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland sind gefordert, ihre Entwicklungs- und Außenpolitik so auszurichten, dass Demokratie, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern gefördert werden, statt einseitig
Rohstoffinteressen und Absatzmärkte zum Maßstab ihrer Politik zu machen. Die Vorstellung, Europa könne sich als Festung gegen das Elend um sich herum abschotten, ist inhuman und illusionär.

In vielen Ländern Europas und auch in Deutschland wird Armutsmigration von rechten und rechtsextremen Demagogen
ausgeschlachtet. Fu?r die IG Metall bleibt deshalb der Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit,
wie er aktuell auch im Antiislamismus zum Ausdruck kommt, eine zentrale Aufgabe.
Deshalb haben wir gestern gegen den Nazi Aufmarsch protestiert.

Uns geht es um das friedliche und solidarische Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe, Religion oder Weltanschauung.
Deshalb  bekämpfen wir den Rechtsextremismus in seiner organisierten Form.

Die IG Metall fordert deshalb ein Verbot der NPD und aller faschistischen und neo-nationalsozialistischen Organisationen sowie ihrer Tarnvereine.

Auch hier wissen wir aus unserer Geschichte. Die menschenverachtende Ideologie des Nazismus war ein Nährboden für die 1939 folgende Kriegspolitik.

Kriege haben immer auch mit wirtschaftlichen Interessen zu tun. Nachhaltige Friedenspolitik beinhaltet immer zugleich auch eine gerechte Weltwirtschaftsordnung. Unter der Ära des Neoliberalismus sind die sozialen Gegensätze in den Ländern stärker geworden, das Gefälle zwischen armen und reichen Ländern größer. Die Weltfinanzkrise, welche die Verschuldung der Staaten massiv verstärkt hat, ist auch eine schwere Hypothek, die auf uns lastet. In einer Welt, in welcher sich die Kluft zwischen arm und reich vergrößert, verschwenderischer Raubbau an den begrenzen Ressourcen betrieben wird, nehmen die Gefährdungen von Demokratie und damit des Friedens zu. Deshalb muss der Globalisierungsprozess auf Ausgleich gerichtet sein. So betrachtet haben mit der schweren Finanzkrise die Risiken zugenommen, weil auch Ressourcen vernichtet wurden, die dringend für die weltweite Lösung sozialer und ökologischer Probleme benötigt würden. Deshalb ist der Einsatz für eine gerechte Weltordnung so wichtig. Deshalb brauchen wir Regeln für die Finanzmärkte, damit die ruinösen Wirkungen eines Finanzmarktkapitalismus ein Ende finden.

Noch immer gilt, was Willi Brandt vor Jahrzehnten ausgesprochen hat: „Eine dauerhafte und gerechte Friedensordnung erfordert gleichwertige Entwicklungschancen für alle Völker.“

Die Einheit Europas baut auf dem eindeutigen Willen des Friedens. Die Architekten Europas wollten nach dem zweiten Weltkrieg eine Abkehr vom Krieg. Ihr Projekt Europa war von der Entschlossenheit geprägt, durch eine umfassende Politik „Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen“. Die Präambel der Römischen Verträge sind Zielstellungen, die 66 Jahre alt sind, aber nichts an ihrer Aktualität eingebüßt haben.

Ich gehöre einer Generation an, die mit Europa Frieden verbindet. Mein Großvater war an der Somme im Ersten Weltkrieg. Mein Vater in Russland und Frankreich im Zweiten Weltkrieg. Die Wertigkeit des Friedens in Europa darf nicht vergessen werden, wenn wir über die Krise Europas und deren Lösungen reden. Wir brauchen nicht weniger Europa, sondern wir brauchen mehr Europa. Es bedarf aber eines Kurswechsels für mehr Demokratie und soziale Gerechtigkeit in Europa. Die Politik der Austerität fördert Nationalismen und treibt die Schuldnerländer in eine immer tiefere Krise. Mehr Europa braucht aber auch mehr Demokratie in den Entscheidungsprozessen.

Uns ist auch nicht geholfen, wenn in den anderen europäischen Ländern deutsche Politik als bestimmend oder gar hegemonial wahrgenommen wird. Hier ist – auch auf dem Hintergrund unserer Geschichte – Demut am Platz. Am deutschen Wesen wird eben Europa nicht genesen. Notwendig ist eine gegenseitig abgestimmte, demokratisch legitimierte Politik. Statt einem Sparprogramm, das Länder in eine furchtbare Spirale nach unten treibt, brauchen wir neben Reformen ein Zukunftsinvestitionsprogramm, das wie der Marshall-Plan eine Aufwärtsbewegung einleitet.

Wenn erstmals im Zuge der Schuldenkrise weltweit die Rüstungsausgaben im Jahr 2012 rückläufig waren, berechtigt die nicht zu der Hoffnung, dass eine Trendwende zur Abrüstung erreicht sei. Mit 1.75 Billionen Dollar sind sie doppelt so hoch wie 2001.

Die regionalen Rüstungsdynamiken sind unterschiedlich. China ist nicht nur wirtschaftlich potent, sondern inzwischen das Land mit dem zweitgrößten Militärhaushalt in der Welt. Steigende Aushaben sind auch in anderen Teilen der Welt festzustellen, nicht nur im Mittleren Osten. Bei limitierten Ausgaben im eigenen Lande, bekommt die Frage der Rüstungsexporte eine neue Dynamik. Der Primat der Politik darf aber nicht wegen wirtschaftlicher Interessen aufgeweicht werden.

Unsere gewerkschaftliche Grundsatzposition ist eindeutig: keine Rüstungsgüter in Krisengebiete, keine Exporte in Länder, in denen Menschenrechte verletzt werden. Hier darf es keine Abkehr geben. Wir sind dagegen, dass die bisherigen Exportstandards gesenkt oder gelockert werden. Nur wenige Länder, wie z.B. Japan und Norwegen, haben restriktivere Rüstungsexportpolitiken. Hier darf es keine Verschiebung der roten Linie geben.

Eine restriktive Praxis ist jedoch keine ausreichende Lösung. Deshalb begrüßen wir das neue Abkommen der Vereinten Nationen zum Waffenhandel, auch wenn es Schwächen und Lücken aufweist. Eine wirkliche, effiziente Rüstungskontrolle kann nur international angestimmt erfolgen, weil die Unternehmen selbst international agieren und nationale Kontrollen leicht umgehen können.

Drei Wochen vor der Bundestagswahl fordern die Gewerkschaften einen Kurswechsel in der Politik. Themen wie Verteilungsgerechtigkeit, soziale Sicherheit, die Regulation der Finanzmärkte oder die Überwindung der Krise haben mittelbar immer mit der Sicherstellung von Frieden zu tun.

Viele schauen derzeit auf Deutschland, weil im Vergleich zu vielen anderen Ländern, die überwiegende Mehrheit der Menschen Sicherheit im Leben haben durch gute Arbeit und Lebensperspektiven. Die Realität zeigt aber, dass viel im Argen ist, in der Bildung, in der Verteilungsgerechtigkeit und in prekärer Beschäftigung. Dies sind unerlässliche Themen zur Sicherung des inneren Friedens als Grundlage für ein gutes Gemeinwesen.

Wir tragen – ich meine wegen unserer Geschichte – eine besondere Verantwortung für den äußeren Frieden, nicht nur in Europa, sondern in der gesamten Welt. Die deutsche Wirtschaft gehört zu den Nutznießern der europäischen Integration und der Globalisierung. Wir sind aber nicht nur Exportnation. Deshalb müssen wir darauf hinwirken, dass die Fähigkeiten Europas im zivilen Bereich gestärkt werden. Statt militärischer Intervention die Fähigkeit zu sozialer, politischer, wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Intervention.

Ihre Elemente sollten sein: humanitäre Hilfe und Sanktionen, Entwicklungspolitik, gerechte internationale Finanzpolitik, Rüstungskontrolle, Diplomatie und ziviles Krisenmanagement. Eine solche Politik wird aber nur wirksam, wenn Europa geeint mit einer Stimme spricht.

Die Friedenspolitik steht vor großen Herausforderungen. Wir können uns nicht vor den Ereignissen in einer Welt abwenden, die immer mehr zusammenrückt. Passivität reicht nicht als Gegenwehr. Die Losung der Friedensbewegung vor mehr als 30 Jahren überzeugt nicht mehr als Antwort.

„Stellt Euch vor, es kommt der Krieg und keiner geht hin.“ Angesichts der Bilder aus Syrien oder Ägypten stellen wir fest, dass Verweigern zu kurz greift. Wir müssen handeln. Wir brauchen eine Weltordnung, die mehr Gerechtigkeit und Sicherheit schafft und den Menschen ein Leben in Freiheit und Toleranz ermöglicht.
Setzen wir uns dafür gemeinsam unentmutigt ein. Für eine bessere und friedlichere Zukunft.