Lieber Josip,
am 25. April entscheidet der Bundestag über den so genannten Lissabonner Vertrag, auch EU-Reformvertrag genannt. Der Vertrag ist undemokratisch, aus sozialer Sicht hochproblematisch und er wird die Militarisierung der Union entscheidend weiter vorantreiben.
Deshalb möchte wir Dich hiermit bitten, gegen diesen EU-Vertrag zu stimmen.
Gründe:
1. Undemokratisch
Obwohl der EU-Verfassungsvertrag
im Jahr 2005 von der französischen und niederländischen Bevölkerung
abgelehnt wurde, soll nun versucht werden, mit dem sog. Reformvertrag seine
wesentlichen Inhalte in kaum abgewandelter Form durch die Hintertür
zu verabschieden. Der Reformvertrag ist nichts anderes als alter Wein in
neuen Schläuchen, er ignoriert das Votum in Frankreich und den Niederlanden
und wurde erneut im stillen Kämmerlein unter Ausschluss der europäischen
Öffentlichkeit ausgehandelt. Selbst die Bundesregierung räumt
in einer Presseerklärung (7.11.2007) unumwunden ein: "Der Begriff
'Verfassung für Europa' war nach der Ablehnung bei den Volksabstimmungen
in Frankreich und den Niederlanden nicht mehr haltbar. Das erklärte
Ziel der deutschen Ratspräsidentschaft war es aber, die Substanz der
Verfassung zu erhalten. Dies konnte erreicht werden."
2. Sozialpolitisch kontraproduktiv
Mit dem Lissabonner Vertrag
wird eine bestimmte - und zwar die neoliberale - Wirtschaftsform festgeschrieben,
obwohl damit seit Jahrzehnten eine Verarmung weiter Teile der Bevölkerung
innerhalb der Europäischen Union, vor allem aber in der sog. Dritten
Welt einhergeht. In Artikel 98 etwa heißt es: "Die Mitgliedstaaten
und die Union handeln im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft
mit freiem Wettbewerb." Besonders perfide ist es, wenn der Reformvertrag
in Artikel 10a angibt, die Europäische Union bekenne sich zu dem "vorrangigen
Ziel, die Armut zu beseitigen", nur um im nächsten Satz als zentrale
Maßnahme hierfür folgendes zu benennen: "die Integration aller
Länder in die Weltwirtschaft zu fördern, unter anderem auch durch
den schrittweißen Abbau internationaler Handelshemmnisse." Es ist
allgemein bekannt, dass diese Maßnahmen die weltweite Armut vergrößern,
sich aber als hochprofitabel für die europäischen Großkonzerne
erwiesen haben. Gleichzeitig ist diese Armut, wie selbst die Weltbank mittlerweile
einräumt, der wichtigste Grund für das Ausbrechen gewaltsamer
Konflikte in der Dritten Welt, die dann wiederum militärisch "befriedet"
werden müssen, um den Dampfkessel der Globalisierungskonflikte unter
Kontrolle zu halten.
3. Militarisierung durch
die Hintertür
Sämtliche bereits an
der EU-Verfassung kritisierten Militarisierungsaspekte wurden auch in den
Lissabonner Vertrag übernommen. Kernpunkte der Kritik waren und sind:
· Weltweite EU-Kampfeinsätze
mit nahezu unbegrenztem Aufgabenspektrum: Artikel 28b, Absatz 1 benennt
u.a. "gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen", "Kampfeinsätze"
und "Operationen zur Stabilisierung der Lage" sowie "die Unterstützung
für Drittländer bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem
Hoheitsgebiet" als Aufgabenspektrum künftiger EU-Kriege.
· Militäreinsätze
im Inneren: In Artikel 188 wird festgeschrieben, dass die EU "alle ihr
zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den
Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel" mobilisiert,
um "terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden".
Dies bedeutet nichts anderes als den möglichen Einsatz von Militär
im Inneren der EU zur Abwendung von so genannten Terrorgefahren. Damit
soll EU-vertraglich eine weitere Militarisierung der EU-Innenpolitik ermöglicht
werden.
· Vertragliche Aufrüstungsverpflichtung:
Artikel 28a, Absatz 3 enthält erneut die bis dato einmalige Verpflichtung,
mehr Gelder in den Rüstungssektor zu investieren: "Die Mitgliedstaaten
verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise
zu verbessern." Die bereits 2004 eingerichtete EU-Rüstungsagentur
soll die Einhaltung dieser Vorschrift überwachen und im Lissabonner
Vertrag primärrechtlich verankert werden.
· Endgültige
Einrichtung eines EU-eigenen Militärhaushalts: Der bislang noch gültige
Nizza-Vertrag verbietet die Aufstellung eines EU-Militärhaushalts,
was sich bislang als erheblicher Hemmschuh für die Militarisierung
der EU erwiesen hat. Deshalb wird im Lissabonner Vertrag (Artikel 28, Absatz
3) der Europäischen Union erstmalig die Möglichkeit eröffnet,
einen als "Anschubfonds" bezeichneten EU-eigenen Militäretat aufzustellen.
· Keine parlamentarische
Kontrollmöglichkeit von EU-Militäreinsätzen: Über EU-Militäreinsätze
entscheiden allein die Staats- und Regierungschefs der EU. Das Europäische
Parlament hat im Lissabonner Vertrag (Artikel 21) lediglich das Recht formal
"angehört" und "unterrichtet" zu werden, (mit)entscheiden darf es
nicht. Da auch vertraglich die Nichtzuständigkeit des Europäischen
Gerichtshof (EUGH) festgeschrieben wurde (Art. 240a), wird somit die Gewaltenteilung
in der entscheidenden Frage von Krieg und Frieden de facto aufgehoben.
· Kerneuropa - nur
wer Krieg führt, darf mitbestimmen: EU-Mitglieder, die sich militärisch
hierfür qualifiziert haben, indem sie an den wichtigsten Aufrüstungsprogrammen
teilnehmen und Interventionstruppen (Battle Groups) zur Verfügung
stellen, können eine "Ständige Strukturierte Zusammenarbeit"
eingehen, mit der das eigentlich für den außen- und sicherheitspolitischen
Bereich geltende Konsensprinzip ausgehebelt wird (Artikel 28e, Absatz 6).
Das Einstimmigkeitsprinzip bezieht sich "allein auf die Stimmen der Vertreter
der an der Zusammenarbeit teilnehmenden Mitgliedstaaten."
· Machtverschiebung
zugunsten
der Großmächte: Schon die EU-Verfassung sah mit der sog. doppelten
Mehrheit eine dramatische Verschiebung der Machtverhältnisse im wichtigsten
EU-Gremium, dem Rat der Staats- und Regierungschefs, vor. Dies bedeutet
für Deutschland etwa eine Verdopplung der Stimmanteile im Rat (die
anderen Gewinner sind Frankreich, Großbritannien und Italien), während
die kleinen und mittleren EU-Länder deutlich an Einfluss verlieren.
Mit dem Reformvertrag (Artikel 9c) wird diese dramatische Machtverschiebung
im Jahr 2014 als gängige Praxis eingeführt.
Wir hoffen, Du teilst unsere Auffassung, dass die hier genannten Aspekte des Lissabonner Vertrages einer Europäischen Union, die sich für sozialen Ausgleich und eine friedliche Welt einsetzt, abträglich sind und wirst Dich bei der anstehenden Abstimmung dementsprechend verhalten. Also stimme Du bitte gegen die Ratifizierung des Lissabonner Vertrages.
Mit friedlichen Grüßen
Jeanette Wern Werner
Winter